Lösungsorientierte Gutachten in Familiensachen (Trennung und Scheidung)


Es ist nicht die Elterntrennung per se, die Kindern die größten Probleme bereitet. Es ist die Art ihres Vollzugs: Die oft jahrelang andauernden familiären Konflikte und gerichtlichen Streitigkeiten.

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Die Forschung betrachtet Trennung und Scheidung nicht mehr als Katastrophe. Sprach man in den 1970 er Jahren vom Desorganisationsmodell der Scheidung und rückte negative Facetten, Defizite und pathologische Aspekte in den Mittelpunkt, spricht die Scheidungsforschung mittlerweile vom Reorganisations- oder Transitionsmodell. Trennung/Scheidung ist ein Ereignis mit einer Vorgeschichte und einer Weiterentwicklung, einer Reorganisation entsprechend der nunmehr gegebenen neuen Bedingungen. Trennung und Scheidung wird als einer von verschiedenen Übergängen im Laufe der familiären Entwicklung betrachtet. Transition bezeichnet den Übergang, „wenn dieser im entwicklungspsychologischen Sinn auf den verschiedenen Ebenen verarbeitet und bewältigt wurde.“1 Die Neuorganisation des gesamten Familiensystems, der Wechsel von einem gemeinsamen Haushalt zur Herausbildung von zwei Haushalten erfordert eine Entwicklung aller Beteiligten und macht eine Anpassungsleistung notwendig, insbesondere von Eltern und Kindern, aber auch von anderen Familienangehörigen (Großeltern, Tanten, Onkel, Cousins, Cousinen etc) und gemeinsamen Freunden und Bekannten.

Mit dem Konzeptwechsel vom Desorganisationsmodell zum Reorganisations- und Transitionsmodell gerieten die Rahmenbedingungen einer Trennung/Scheidung ins Zentrum der Aufmerksamkeit und es verdeutlichte sich zunehmend, dass es nicht die Trennung an und für sich ist, die Kindern Schaden zufügt, sondern „dass die Begleitumstände einer elterlichen Scheidung maßgeblich dafür sind, ob bei einem Kind mit gravierenden Auswirkungen auf die persönliche Befindlichkeit zu rechnen ist.“2 Jahrelange „Kämpfe“ der Eltern vor Gericht um Sorge- und Umgangsrecht hinterlassen tiefe Spuren im Kind, verhärten die Fronten zwischen den Eltern und wirken sich auf die Beziehungen zwischen Elternteil und Kind aus.

Zwar vermitteln die Zahlen des Statistischen Bundesamts große Zuversicht - „Im Jahr 2002 verblieb in 84 % der Scheidungen die elterliche Sorge zunächst bei beiden Elternteilen gemeinsam oder wurde ihnen gemeinsam übertragen, 2012 waren es 96 %.“3 - aber so einfach, wie es klingt, ist es nicht, denn eine Trennung ist für jede Familie, das gescheiterte Paar, Eltern und Kinder ein einschneidendes Ereignis und eine bedeutsame Krise.


Hinwirken auf Einvernehmen

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Mit dem Inkrafttreten der Reform des Kindschaftsrechts am 01.07.1998 steht Eltern das Sorgerecht nach der Scheidung gemeinsam zu und sie sind aufgefordert, in Fragen der elterlichen Sorge Einvernehmen anzustreben (§ 1626 BGB). Gerichtliche Entscheidungen in Sorgerechts- und Umgangsfragen müssen am Kindeswohl orientiert sein und dürfen dem Kindeswohl nicht widersprechen (§ 1697a BGB). Mit der Reform des Verfahrensrechts in Kindschaftssachen (FamFG) am 01.09.2009 hat der Gesetzgeber dem kindlichen Zeitempfinden4 Rechnung getragen und ein Beschleunigungsgebot eingeführt. Mit dem Hinwirken auf Einvernehmen ist der Gesetzgeber den Forschungsergebnissen gefolgt, dass dauerhafter Streit und Kampf der Eltern dem Kindeswohl zuwiderläuft. Das Familiengericht soll Eltern auf Angebote der Beratung hinweisen und „in Kindschaftssachen, die die elterliche Sorge bei Trennung und Scheidung, den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen, in jeder Lage des Verfahrens auf ein Einvernehmen der Beteiligten hinwirken, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht“ (§ 156 FamFG).

Ist eine Einigung oder Vereinbarung der Eltern nicht möglich, kann das Gericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens beschließen:

  • Entweder ein klassisches, den Status erhebendes Gutachten, das dem Richter als Entscheidungsgrundlage dient.

  • Oder ein lösungsorientiertes Gutachten, das auf die Herstellung von Einvernehmen zwischen den Eltern hinwirkt. Das Gericht kann explizit anordnen, „dass der Sachverständige bei der Erstellung des Gutachtens auch auf die Herstellung des Einvernehmens zwischen den Beteiligten hinwirken soll“ (§ 163 Abs. 2 FamFG).


Kindeswohl durch Frieden zwischen den Eltern

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Gerichtliche Entscheidungen im Rahmen von Verfahren zum Sorge- und Umgangsrecht müssen sich am Kindeswohl orientieren und dem Wohl des Kindes am besten entsprechen (§ 1697a BGB). Wenn es zur Wahrnehmung der Interessen des Kindes erforderlich ist, beauftragt das Gericht einen Verfahrensbeistand (§ 158 FamFG) und hört das Kind vor der Entscheidung persönlich an (§ 159 FamFG). Auch der bestellte Sachverständige ermittelt und erfragt den Willen und die Wünsche des Kindes.

Was vor der Trennung der Eltern nicht erfolgte, wird nach der Trennung der Eltern vor dem Familiengericht umso wichtiger. Eltern befragen ihr Kind in der Regel nicht zur Absicht ihrer Trennungswünsche. Sie treffen diese Entscheidung auf der Erwachsenenebene. Nach der Trennung werden Kinder zu der Situation befragt, die ihre Eltern entschieden haben; zu einer Situation, die sie in der Regel nicht gewollt und nicht gewünscht haben. Kinder werden angehört, ihr Wille und ihre Wünsche werden mit guten Absichten ins Verfahren eingebracht, ihre Aussagen werden ernst genommen und erhalten ein wesentliches Gewicht.

Durch die gewachsenen Bindungen zu Mutter und Vater sind Kinder nicht nur sensible Beobachter, sie richten ihr Handeln und Wollen auch an den Haltungen ihrer Eltern aus und möchten keinem der Elternteile weh tun. In der Krise der Elterntrennung und dem Gegeneinander der Eltern im familiengerichtlichen Verfahren, hat das Kind jetzt eine schwierige Aufgabe. Es hat die Trennung der Eltern zu verarbeiten und muss seinen Weg durch das Konfliktfeld und die neuen Befindlichkeiten der Eltern finden. Es bräuchte gerade jetzt die Unterstützung beider Eltern, aber diese sind mehr mit sich selbst und im negativen Blick aufeinander verfangen.

Die auf unabhängige Willensbildung ausgerichtete Stellung des Kindes im gerichtlichen Verfahren birgt die Gefahr, dass die Aussagen des Kindes negative Rückkopplungen haben und als „Munition“ gegen den anderen Elternteil eingesetzt werden. Das vom Grundsatz her von den Eltern zu schützende Kind erhält auf diese Weise eine Verantwortung, die den Grundstein zur Umkehrung der Rollen in sich birgt, eine Überforderung darstellt und die eigene kindliche Entwicklungsaufgabe behindert. Kinder geraten in Loyalitätskonflikte und/oder es kommt zur Parteinahme für den einen und gegen den anderen Elternteil.

Der allen Wünschen übergeordnete Wunsch, den jedes Kind ins Verfahren einbringt, wird von betroffenen Eltern dabei in der Regel nicht wahrhaft ernst genommen: Kinder wünschen sich Frieden zwischen den Eltern, dass diese „endlich aufhören zu streiten“ oder „wenigstens ein bisschen weniger streiten.“

Hinter diesem Wunsch verbirgt sich ein Blumenstrauß verschiedener Facetten: Das Bedürfnis nach Unterstützung der Eltern in der eigenen Bearbeitung der Trennung, das Bedürfnis nicht mehr ausgefragt zu werden, das Bedürfnis nicht mehr wachsam darauf achten zu müssen, was es wem sagt, das Bedürfnis Vater und Mutter wieder unvoreingenommen lieben zu dürfen, die Unterstützung in eigenen Entwicklungsaufgaben, der Wunsch nach präsenten und liebevollen Eltern, die es auch nach ihrer Trennung schaffen, weiter Eltern zu sein.


Nicht verarbeitete Kränkungen und Verletzungen auf Paarebene

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Von außen betrachtet, folgen die vor dem Familiengericht geführten Streitigkeiten um Sorge- und/oder Umgangsrecht immer der selben Struktur: Eltern tragen ihre auf der Paarebene verankerten Kränkungen und Verletzungen über die Elternebene im Streit um das Kind aus. Am liebsten würden sich die ehemaligen Partner nach der Trennung aus dem Weg gehen, können es aber nicht, weil ein gemeinsame Kind sie zu Eltern gemacht hat.

Berechtigterweise haben Eltern das Gefühl, bei ihnen seien sowohl die Themen, als auch das Geschehen besonders schlimm, denn als Betroffene befinden sie sich in einer krisenhaften Ausnahmesituation, die ihr Lebensgefühl empfindlich beeinträchtigt. Sie stehen vor einem Berg negativer Erfahrungen, unerfüllter Bedürfnisse, gescheiterter Hoffnungen und Wünsche und befinden sich in der Phase der aufbrechenden Gefühle, wie Verena Kast die zweite Stufe des Trauerprozesses5 bezeichnet. Indem sie dem ehemaligen Partner die Schuld am Scheitern der Beziehung geben, versuchen sie, ihr eigenes Selbstwertgefühl wieder aufzubauen. Je intensiver und länger sich die ehemaligen Partner allerdings im Konfliktfeld befinden, ihre Beziehung quasi unter negativen Vorzeichen weiter führen, desto mehr steuern sie gemeinsam auf den Abgrund zu, wie Friedrich Glasl6 die neunte Stufe eskalierter Konflikte benennt. Sie werten dabei nicht nur den ehemaligen Partner ab, sondern auch die positive Beziehung des gemeinsamen Kindes zum anderen Elternteil und die Anteile des Kindes, die diesem Elternteil ähnlich sind.

Erst wenn die ehemaligen Partner ihren eigenen Anteil am Scheitern der Beziehung anschauen, können sie den Verlust der positiven Facetten betrauern, sich über den Wegfall der negativen freuen und die Krise, in der sie sich befinden, als Beginn eines persönlichen Wachstumsprozesses erkennen. Auf der Basis dieser befriedeten Paarebene ist es ihnen dann möglich, ihrer Elternrolle gerecht zu werden und unbefangen und offen die Wünsche und Bedürfnisse ihres Kindes in den Fokus zu nehmen.


Lösungsorientiertes Gutachten

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Ein lösungsorientiertes, auf die Herstellung von Einvernehmen ausgerichtetes Gutachten, schafft Raum für die Thematisierung der noch bestehenden Verletzungen auf Paarebene, es unterstützt die Herausarbeitung der Elternrolle und das Aufdecken unerwünschter Verzahnungen.

Der Blick wird auf die Bedürfnisse und die Lage des Kindes fokussiert und versetzt Eltern in die Lage, ihrer elterlichen Verantwortung wieder gerecht zu werden.

Vorgehen:

  • Einzelgespräche mit Mutter und Vater.

  • Hausbesuche bei Mutter und Vater, Ermittlung der Wünsche, Bedürfnisse und Nöte des jeweils betroffenen Kindes.

  • Beobachtung der Interaktion zwischen Elternteil und Kind.

  • Eltern miteinander ins Gespräch bringen.

  • Sensibilisierung der Eltern für die Bedürfnisse und Nöte ihres Kindes.

Ziel:

  • Mit den Eltern eine an den Bedürfnissen des Kindes orientierte, zu ihrer Konstellation passende Lösung erarbeiten.

  • Schriftliche Zusammenfassung der erfolgten Termine und der gefundenen Lösung.

Einvernehmen zwischen den Eltern entlastet Kinder, gibt ihnen das Gefühl von Sicherheit, reduziert Auffälligkeiten und unterstützt sie in ihrer gesamten kindlichen Entwicklung.




1. [Fthenakis, Prof. Dr. Dr. Dr. Wassilios E. u.a., Die Familie nach der Familie. Wissen und Hilfen bei Elterntrennung und neuen Beziehungen, Helmut Mader Stiftung. Beck 2008, S .2 f]

2. [Fthenakis, S. 43]

3. [www.destatis.de, Justiz auf einen Blick, Ausgabe 2015,S. 48, 49]

4. [Heilmann, Stefan: Kindliches Zeitempfinden und Verfahrensrecht, Verlag: Luchterhand, Neuwied, Kriftel 1998]

5. [Kast, Verena: Zeit der Trauer. Phasen und Chancen des psychischen Prozesses, Stuttgart, Kreuz Verlag 2006]

6. [Glasl, Friedrich: Selbsthilfe in Konflikten, 2. Aufl., Stuttgart, Verlag Freies Geistesleben 2000]